Atlantische Sandlandschaften

Ohligs – Krach um Heide-Renaturierung

Waldarbeiter haben im Dezember 2018 circa 2,6 Hektar Wald in der Ohligser Heide gerodet. Insgesamt sollen bei einem von der Europäischen Union unterstützten Naturschutzprojekt 4,4 Hektar Wald weichen und der ursprünglichen Heidelandschaft der Heideterrasse Platz machen. Die fruchtbare Humusschicht soll in diesem Bereich abgetragen werden. 2019 soll die zweite Phase des von der Biologischen Station Mittlere Wupper und der Stadt Solingen betriebenen Projektes beginnen. In Ohligs kochen bei manchen Bürgern angesichts der Baumfällungen die Emotionen hoch.

Dabei wird ins Feld geführt:

  1. Durch die Maßnahme ist der in hundert Jahren gewachsene Mischwald gefährdet.
  2. Damit vermindert sich seine Funktion als Lärmschutz des Stadtteils Ohligs vor dem Verkehr der Autobahn 3.
  3. Die Baumfällung sei rechtlich nicht abgesichert.
  4. In ihrer Baumschutzsatzung reglementiert die Stadtverwaltung Bürger streng und kostenträchtig, die auf ihrem eigenen Grundstück einen oder mehrere Bäume fällen wollen. Die Stadt messe mit zweierlei Maß.
  5. Der von den den Betreibern der Maßnahme als Zweck vorgetragene Artenschutz wird in Zweifel gezogen.
  6. Die ganze Aktion sei über den Kopf der Bürger hinweg entschieden worden. Die Bürger wurden nicht gefragt.

Was planen die Station Mittlere Wupper, die Stadt Solingen und die Europäische Union in Ohligs überhaupt?

Humus wird abgetragen
Die Bäume sind gefällt. In einem nächsten Schritt soll der humusreiche Boden abgetragen werden.

Die Biologische Station Mittlere Wupper beschreibt ihr Betreuungsgebiet Ohligser Heide auf ihrer Webseite. Die Biologischen Stationen Haus Bürgel (Monheim) und Mittlere Wupper (Solingen) arbeiteten 2008 bis 2011 an einem Biotopverbund der drei FFH-Gebiete (Fauna-Flora-Habitat = europäische Natur- und Landschaftsschutzgebiete) Hilden-Spörkelnbruch, Ohligser Heide Solingen und Further Moor Langenfeld. Dabei wurden Maßnahmen zur Wiederherstellung von Heide- und Bruchwald umgesetzt. Um Erholungsuchenden die Natur erlebbar zu machen, wurden Informationstafeln aufgestellt und ein Wander- und Radtourenführer entwickelt.

Seit 2016 setzen die Länder Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen das LIVE-Projekt Atlantische Sandlandschaften um. Das Projekt soll die Überlebenschancen bedrohter Tier- und Pflanzenarten verbessern. Für eine erste Projektphase bekamen die Biologische Station Mittlere Wupper und die Stadt Solingen 92.000 Euro Zuschüsse. Im November 2018 besuchte eine Kommission die Ohligser Heide und überzeugte sich von den Fortschritten der Arbeiten.

Im Dezember wurden zur Umsetzung dieses Projektes 2,6 Hektar Bäume gefällt, berichtet die Solinger Morgenpost. Am Ende sollen 4,4 Hektar Wald in Heideflächen umgewandelt sein. Insgesamt umfasst das Naturschutzgebiet Ohligser Heide 147 Hektar. Nach Abschluss der Renaturierung soll etwa ein Drittel der Ohligser Heide aus Heide bestehen, die zur Pflege von Schafen beweidet wird. Die übrigen zwei Drittel soll weiter bewaldet sein. Dieser Zustand ist heute bereits weitgehend erreicht, so der Geschäftsführer der Biologischen Station, Jan Boomers. Die bestehenden Nadelbäume sollen nach und nach durch standortgerechte Hölzer wie Stieleiche, Moorbirke und Erle ersetzt werden. Auch auf einem Teil der jetzt gerodeten Flächen soll Birkenmoorwald nachwachsen.

Teich in der neuen Heide
Teich in einer Heidefläche am Heidebad.

Die Ohligser Heide ist Teil der Bergischen Heideterrasse, die über Jahrhunderte hinweg wegen der sandigen und wenig ertragreichen Böden landwirtschaftlich ungenutzt und bewaldet blieb. Im Mittelalter setzte wegen des Holzbedarfs umfassende Rodung ein. Das Ergebnis war eine offene Heidelandschaft, die hauptsächlich als Viehweide für Schafe, Rinder und Schweine genutzt wurden. Nur an moorigen und sumpfigen Stellen standen weiterhin Bäume. Um 1800 hatte die Heide ihre größte Ausdehnung, aber auch noch vor 100 Jahren gab es weite, offene Flächen.

Um 1900 dann lohnte sich die Schafhaltung nicht mehr, und die Bedeutung der Forstwirtschaft wuchs. In der Ohligser Heide wurden Entwässerungsgräben angelegt und Wald aufgeforstet mit standortfremden Hölzern wie Lärche und Fichte. Andere Bereiche der Bergischen Heideterrasse wurden besiedelt und versiegelt. Von dem ehemals zusammenhängenden, bis zu drei Kilometer breiten Band der Heideterrasse von Duisburg bis Siegburg blieben nur noch Reste erhalten. Darunter auch das heutige Naturschutzgebiet Ohlgser Heide.

In der Heide und in den Bruchwäldern leben seltene Tier- und Pflanzenarten. Die Lebensbedingungen für Zauneidechse, Heidelerche, Königsfarn und andere Arten sollen wieder verbessert werden. Diesem Ziel dient die Wiederherstellung der Kulturlandschaft Heide und damit die derzeitigen Rodungen. Dazu werden Entwässerungsgräben verschlossen, um den natürlichen Grundwasserstand wieder herzustellen. Ziel ist eine möglichst breite Artenvielfalt.

Dem Erholungswert der Ohligser Heide dürften die derzeitigen Maßnahmen keinen Abbruch tun. Zumal der erwünschte Zustand von zwei Drittel Wald und einem Drittel offener Fläche laut Biologischer Station Mittlere Wupper faktisch bereits erreicht ist. Eher das Gegenteil ist der Fall. Erstens wandern, spazieren oder radeln Erholungsuchende schon heute durch eine abwechslungsreichere Landschaft, als dies noch vor 20 oder 30 Jahren der Fall war.

Zweitens gehört zum Konzept der Heidelandschaft auch die Anlage von Wegen, das Aufstellen von Informationstafeln und das Ausweisen von Wander- und Radwegen. Besuchern dere Heide soll Naturerlebnis vermittelt und die Heidelandschaft ins Bewusstsein vermittelt werden. Daran beteiligt sind die Biologischen Stationen Mittlere Wupper und Haus Bürgel, der Rheinisch-Bergische Naturschutzverein Solingen, der Umweltschutz- und Verschönerungsverein Langenfeld und natürlich die beteiligten Städte. Ein Wander- und Radwegeplan wurde erarbeitet und veröffentlicht.

Gegen den Vorwurf, die Rodungen seien illegal, setzt sich die Stadt Solingen zur Wehr. Die Genehmigung für das Schaffen einer zwei Hektar großen Heidefläche zur späteren Schafbeweidung habe das Forstamt Bergisch Land in Gummersbach erteilt. Für weitere Flächen, die mit standortgerechten Hölzern bepflanzt werden sollen, sei eine Genehmigung nicht notwendig, da ja wieder aufgeforstet werde, so eine Stadtsprecherin (Solinger Morgenpost).

Dass die Ohligser wegen der Fällung der Bäume auf gut vier Hektar (bei einer Gesamtfläche des Naturschutzgebietes von 147 Hektar) mehr Lärm der Autobahn 3 werden ertragen müssen, steht kaum zu erwarten. Eine stichhaltige, nachvollziehbare Begründung für diese Behauptung liegt nicht vor.

Schließlich der Vorwurf gegen die Stadt Solingen, man messe angesichts einer strengen Baumschutzsatzung mit zweierlei Maß. Die Bürger dürften auf ihren eigenen Grundstücken nur unter strengen, teuren Auflagen Bäume fällen – wenn überhaupt. Die Stadt dagegen mache, was sie wolle. Dieser Behauptung steht entgegen, dass es sich um ein mit dem Landschaftsverband Rheinland, Biologischen Stationen, Umweltverbänden, zwei Landesministerien bis hin zur Europäischen Union abgestimmtes Verfahren handelt, bei dem die Stadt durchaus nicht machen kann, was sie will. Außerdem verbietet sich ja wohl der Vergleich der Wiederherstellung einer bedrohten und in weiten Teilen bereits untergegangenen Kulturlandschaft zugunsten der Artenvielfalt mit dem Fällen eines privaten Baumes von selbst.

Dass der Artenschutz in Zweifel gezogen wird, ist unglaubwürdig. An der Entwicklung des Heidekonzeptes sind diverse Fachleute des Naturschutzes auf verschiedenen Ebenen beteiligt. Die Wirksamkeit der Maßnahmen lässt sich frühestens nach einer, besser nach mehreren Vegetationsperioden beurteilen. Zu behaupten, ein brütendender Baumpieper sei nicht begeistert, wenn eine Horde Schafe über ihn hinwegtrampelt, ist zu einfach. Die Behauptung ist schlicht aus der Luft gegriffen.

Fazit: Die umstrittenen Rodungen dienen der Wiederherstellung der Heidelandschaft in Teilen der Ohligser Heide zur Verbesserung des Artenschutzes und sind zu begrüßen. Der Erholungswert des Naturschutzgebietes wird dadurch nicht in Frage gestellt, sondern sogar noch verbessert. Die Aktion ist nicht illegal und die Stadt Solingen misst auch nicht mit zweierlei Maß. Auch eine Verlärmung des Stadtteils Ohligs ist nicht zu befürchten. Für einen Stopp der Rekultivierung der Heide besteht somit kein Anlass. Ein kritischer Punkt bleibt: Es scheint, dass die Ohligser über das Projekt nur unzureichend informiert wurden. Daüber sollten die Verantwortlichen bei Stadt, EU und Biologischer Station einmal nachdenken.