Stadt und Kreis verschlafen den rechtzeitigen Ersatz der Bröckelbrücke
Und plötzlich ist die Straße dicht. Ein Leichlinger, der mit seinem kleinen Anhänger zur Solinger Müllverbrennung wollte, fluchte nicht schlecht, als er vor der Wupperbrücke an der Haasenmühle wieder kehrt machen und zurück in die Blütenstadt fahren musste. Auch auf der Solinger Seite der Brücke machten Handwerker und Kunden, die in Leichlingen einkaufen wollten, überrascht ein langes Gesicht. Sei mussten einen Umweg über die Wipperauer und die Opladener Straße in Kauf nehmen.
Auch für Fußgänger und Radfahrer gesperrt
Brücke Leichlinger Straße am Mittwochmorgen, 14. Juni 2017, überraschend für Kraftfahrzeuge gesperrt. Aber es kommt noch schlimmer: Ab Freitag, 16. Juni, ist die Brücke auch für Fußgänger und Radfahrer gesperrt.
Ein Gutachten zum Zustand der Brücke hatte ergeben, dass die Standsicherheit nicht mehr gewährleistet ist. Zu bereits bekannten Rissen in der Spannbetonkonstruktion seien neue hinzugekommen, so dass es zur Sperrung keine Alternative gegeben habe. Solingens Stadtdirektor Hartmut Hoferichter: Aus dem Gutachten gehe hervor, „dass die Standsicherheit der Brücke nicht mehr garantiert werden kann. Wir müssen umgehend reagieren.“ Kreis-Dezernent Gerhard Wölwer, zuständig unter anderem für Kreisstraßen, Verkehr und Infrastruktur, bekräftigt seinen Kollegen: „Wir sind in der Pflicht und Verantwortung. Zur Sperrung gibt es keine Alternative“.
Neubau steht frühestens in drei Jahren
Stadt und Kreis planten einen „zeitnahen“ Neubau der Brücke. Die Arbeiten sollen 2019 (in frühestens anderthalb Jahren) beginnen. Bauzeit: 18 Monate. Die Ersatzbrücke wird also nicht vor Ablauf von drei Jahren stehen. Wenn alles „nach Plan“ läuft also frühestens Mitte 2020. Als Zwischenlösung soll eine Behelfsbrücke gebaut werden, die im Frühjahr 2018 für den Verkehr freigegeben werden könnte, so die Solinger Pressestelle im Rathaus. Die Planungen für diesen Notbehelf hätten „bereits“ begonnen.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass die klammen Kommunen in ihrer Geldnot nach dem Prinzip Hoffnung gehandelt haben. Wird schon nicht so schlimm kommen, hat man sich offensichtlich im Solinger Rathaus und im Kreishaus in Bergisch-Gladbach gesagt. Denn dass die Schäden an der Brücke so überraschend aufgetaucht sind, wie Hoferichter und Wölwer behaupten, das ist kaum zu glauben.
DIN-Norm regelt ständige Überwachung
Geregelt ist das Verfahren der Überwachung von Brücken in der DIN 1076. Danach findet jährlich eine Sichtprüfung statt, alle sechs Jahre eine Hauptprüfung sowie eine einfache Prüfung drei Jahre nach einer Hauptprüfung. Bei einer Prüfung werden Schäden dokumentiert. Bei Hauptprüfungen werden alle Bauwerksteile, auch die schwer zugänglichen, „handnah“ geprüft. Zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit sind zudem Überwachungen vorgeschrieben, bei den die zugänglichen Bereiche ohne Hilfsmittel besichtigt werden.
Ziel der DIN-Norm ist eine Feststellung des Ist-Zustandes des Bauwerks sowie eine frühzeitige Schadenserfassung. Die Brücken sollen sicher bleiben. Darüber hinaus entsteht eine Datensammlung über den Zustand der Brücke. Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit sollen sichergestellt werden. Soweit die Theorie.
Das Prinzip Hoffnung
Davon ist man in Solingen und im Rheinisch-Bergische Kreis offensichtlich meilenweit entfernt. Noch unverständlicher wird die für Solinger und Leichlinger überraschende Sperrung, da diese „schon seit längerer Zeit unter genauer Beobachtung steht“, so die Pressestelle. Denn der 1958 beim Bau der Brücke verarbeitete Spannstahl gehöre zu einer Charge minderwertiger Qualität und sei anfällig für sogenannte Spannrisskorrosion. Dies sei bundesweit bekannt. In Solingen und im Rheinisch-Bergischen Kreis aber offensichtlich bisher nicht. Denn erst bei einer Hauptprüfung 2016 sei ein Rissekataster angelegt worden. Bei einer Sonderprüfung im April 2017 habe man dann leider „auffällige, negative Veränderungen“ festgestellt. „Mittelfristig“ habe man ja bereits den Bau einer Ersatzbrücke geplant. Doch die alte ist nun doch zu schnell kaputt gegangen.
Bürger müssen Umwege in Kauf nehmen
Die Verantwortlichen haben die Chance verschlafen, rechtzeitig eine Behelfsbrücke neben der noch befahrbaren Wupperbrücke zu errichten und die mangelhafte Konstruktion von 1958 durch eine neue zu ersetzen – ohne dass der Wupperübergang gesperrt werden müsste. Ausbaden müssen das nun Autofahrer, Handwerker, Transportunternehmer und sogar Fußgänger wie Radfahrer. Sie alle, einschließlich der Schüler, die aus Solingen mit dem Bus zum Leichlinger Schulzentrum fahren, müssen erhebliche Umwege in Kauf nehmen.
Ganz zu schweigen von der Gefahr, in die sich Fußgänger begeben, wenn sie auf der stark befahrenen Wipperauer Straße bis zur Juckelbrücke bei Horn gehen, um die Wupper zu queren – bei zunehmendem Verkehr. Dem begegnet die Stadt Solingen mit Tempo 30 und der provisorischen Abtrennung eines Gehwegs auf der Wupperseite. Die Folge: Auf der verbleibenden schmalen Fahrbahn können Autos im Begegnungsverkehr einander nur passieren, wenn einer auf den unbefestigten Seitenstreifen an der Hangseite ausweicht. Daher wird von den Verantwortlichen eine Baustellenampel erwogen, die freilich zu langen Wartezeiten führen würde.
Noch ein Belastungstest
Eine kleine Hoffnung bleibt: Die Wupperbrücke Leichlinger Straße wird noch einer Belastungsprobe unterzogen. In frühestens vier Wochen, spätestens zum Ende der Sommerferien 2017 soll dann eine Entscheidung getroffen werden: Eine Fahrspur wird wieder geöffnet, wenigstens Fußgänger und Radfahrer dürfen passieren, oder aber – die Brücke bleibt gesperrt. Man könnte ja auch eine Furt aufschütten. Wäre die preiswerteste Lösung.