Solingens City verödet
„Mitten in der Stadt, mitten in der Region, mitten in der Kaufkraft“ – Mit wohlklingenden Versprechungen wirbt die CR Holding GmbH auf ihrer Webseite für das Solinger Projekt MyUrbanOutlet in den Clemens Galerien. Auf tollen Bildern sind die Ladenpassage, die Läden an der Hauptstraße und dem Mühlenplatz voll vermietet. Doch von schönen Bildern haben die Solinger an der nördlichen Hauptstraße kein funktionierendes Shopping-Center, denn dieser Investor hat in der Klingenstadt verbrannte Erde hinterlassen. Fast alle Ladenlokale sind Anfang 2017 leer, den bisherigen Mietern wurde gekündigt, der Gebäudekomplex anschließend an Schweizer Investoren verkauft.
Es entsteht der Eindruck, das Geschäftsmodell der CR Holding sei die Entmietung des Objektes, um es dann leer weiter zu verkaufen und den Aufbau jemand anderem zu überlassen. Angeblich, so wurde in der Presse verlautbart, war die Suche nach einem Ankermieter nicht von Erfolg gekrönt. Warum den Geschäftsleuten in den Clemens Galerien bis auf ganz wenige Ausnahmen gekündigt wurde, bevor das Outlet-Konzept auf soliden Füßen stand, ist ein Rätsel. Dazu hat sich der Investor bislang nicht öffentlich geäußert.
Zurück bleibt eine Einzelhandelswüste
Davon freilich ist auf der Webseite nichts zu lesen. Auch nicht vom unrühmlichen Abgang und der zurückgebliebenen Einzelhandelswüste. Das war ja wohl auch nicht anders zu erwarten. Die Präsentation endet mit lächerlichen Links zu „News“. Als letzte Eintragung dort liest man Anfang 2017 eine Meldung vom 27. Januar 2016: Der Bauantrag sei gestellt. Das ist ein Jahr her. Vom Verkauf keine Rede, stattdessen wird noch die Eröffnung im Herbst 2016 versprochen.
Verglichen wird Solingen in der Darstellung übrigens mit Soltau (knapp 22.000 Einwohner), Zweibrücken (25.000) und Wertheim (24.000). Da steht Solingen mit seinen über 150.000 Einwohnern natürlich besser da. Und dann werden noch großspurig Kreise um die Mall gezogen und möglichen Mietinteressenten wird erklärt, im Umkreis von 90 Fahrminuten würden 18,7 Millionen potenzielle Kunden leben. Geschäftsleuten wird suggeriert, Endverbraucher aus Düsseldorf, Köln, Dortmund oder Essen würden demnächst nach Solingen zum Einkaufen kommen. Als ob eine Shopping Mall an der Hauptstraße der Klingenstadt mit dem Einkaufserlebnis an der Kö oder der Schadowstraße mithalten könnte.
Ziel bleibt das Urban Outlet
Was wird, ist fraglich. Der Vertreter der neuen Schweizer Investoren, Dr. Jochen Stahl (Geschäftsführer der Frankfurter ICG Real Estate Developement), verspricht jedenfalls bei einem Besuch der Solinger Verwaltungsspitze, das Urban Outlet-Konzept werde weiter verfolgt. Oberbürgermeister Tim Kurzbach wählte starke Worte und gab dem Geschäftsmann mit auf den Weg, man erwarte zur nächsten Begegnung „ernst gemeinte Planungen und ein zukunftsfähi-
ges Konzept für das Center“. Starke Worte – nur leider schafft die Stadt lediglich die Rahmenbedingungen. Zwingen können die Verantwortlichen der Stadt die Eigentümer nicht, ein schlagkräftiges Konzept vorzulegen. Und ob die neuen Projektenwickler mehr Fortune haben als die alten, ist völlig offen.
Dabei waren die Clemens Galerien nach ihrer Eröffnung Vorzeigeprojekt der Klingenstadt. Das Essener Architektenbüro Nattler verkündet unter „Referenzen“ auf seiner Webseite stolz, die Galerien seien ausgezeichnet worden: 2004 mit dem Preis für Vorbildliche Handelsarchitektur in NRW / Städtebauliche Konzeption / Anerkennung und 2001 mit dem European Shopping Center Award / Commendation to multi development corporation, Barcelona.
Der Niedergang der Clemens Galerien hängt wesentlich zusammen mit dem 2013 eröffneten Hofgarten, in den mehrere Geschäfte aus den Galerien und dem näheren Umkreis umzogen – etwa die Bücherkette Thalia und der Elektronik-Anbieter Saturn. Und der die Kunden vom Mühlenhof abzieht. Wer parkt schon im Hofgarten, wo er ein reiches Angebot vorfindet, und läuft dann zu Fuß durch die ganze Innenstadt zu den Galerien? Der Hofgarten ist nur ein Teilerfolg. Er bringt nur für seine nähere Umgebung eine Belebung.
Fehlplanungen häufen sich
Allerdings reicht die Misere tiefer. Die gesamte Innenstadt Solingens krankt. An der Hauptstraße stehen diverse Ladenlokale leer bis hinunter zum Entenpfuhl. Die Einkaufspassage Bachtorzentrum ist bis auf wenige Ausnahmen ebenfalls komplett verwaist – ohne dass hier „entmietet“ wurde. Besser sieht es nahe dem Hofgarten und
Die Fehlplanungen in Solingen begannen weit früher. Die City-Residenz gegenüber des neuen Rathauses neben dem Theater war Anfang der 80-er Jahre von der Geschäftscenter Ladicha Verwaltungs-KG als Einzelhandelsstandort geplant, dann als Kneipenlandschaft eröffnet mit der einst „größten Diskothek des Bergischen Landes“. Erst wurde die Kneipenebene geschlossen, dann die Diskothek.
An der Hauptstraße, gegenüber der Clemens Galerien, erlitt in jenen Jahren auch das Wuppertaler Einrichtungshaus Pasche mit seinem hochwertigen Angebot Schiffbruch. Möbel wurden in dem Neubau am Mühlenhof nicht lange verkauft. Pasche zog sich aus Solingen wieder zurück. Das Unternehmen konnte sich übrigens auch in Wuppertal nicht mehr lange halten. 2009 gingen nach 132-jähriger Geschichte des Traditionshauses an der Friedrich-Ebert-Straße die Lichter aus. Begründung der Eigentümerin Inge Pasche-Fischer: Wertewandel bei den Konsumenten. Für die Fehlplanungen ist nicht allein die Stadt verantwortlich. Hier haben diverse Investoren Geld in den Sand gesetzt.
Einkaufserlebnis virtuell und real
Ein Grund für den Niedergang der Innenstadt in ihrer überkommenen Form mit Handel, Dienstleistung und Gastronomie ist sicherlich die Konkurrenz durch die großen Anbieter Amazon & Co im Internet. Die Stadt Solingen, die Industrie- und Handelskammer, der örtliche Handel wollen dem Verfall mit einer Digitalisierungsstrategie begegnen, die virtuelles und reales Einkaufserlebnis miteinander verbindet. Eine Webseite soll die Solinger Einkaufs- und Serviceangebote bündeln und gleichzeitig wieder mehr Menschen in die Solinger Innenstadt und die anderen Stadtteile locken. Touristen sollen hier alle für sie relevanten Informationen finden.
Klar ist aber auch, dass Solingen mit einem solchen System kein Alleinstellungsmerkmal hat. Denn auch andere Kommunen, etwa Wuppertal, arbeiten ebenfalls an einer gemeinsamen Internetpräsenz ihres Handels – und suchen nach Wegen, das Leben in der Innenstadt zu retten. Klar ist, dass wir alle gefordert sind. Alle Beteiligten am Leben in der Innenstadt, Stadtverwaltung, Handel, Gastronomie, Dienstleister und Kulturschaffende müssen attraktive Angebote schaffen, Investoren müssen Trends erkennen, und vor allem: Wir müssen hingehen.